Katalog
SILENT LOOKING • 2019
Dieser Katalog erscheint als Überblick im Zweijahresrhythmus.
Der Schwerpunkt der Abbildungen liegt auf den Themen Flugbild / Touch down / Objekte
Dieser Katalog erscheint als Überblick im Zweijahresrhythmus.
Der Schwerpunkt der Abbildungen liegt auf den Themen Flugbild / Touch down / Objekte
Dieser Katalog erscheint zur Ausstellung im Kunstraum Hopfgarten (29.6. bis 13.8.2017).
Der Schwerpunkt der Abbildungen liegt auf dem Thema Flugbild.
Dieser Werkkatalog begleitet eine Ausstellung im Kunstverein Bad Dürkheim/D (Mai 2015).
Zahlreiche Werkabbildungen und Texte der letzten Jahre mit einem Ausblick auf die 2015 begonnene Skulpturenserie.
Ausgewählte Arbeiten der Jahre 2011 bis 2013, thematisch bezogen auf Flugbilder und Themenserie "driften".
Bildserien zeigen die Entwicklung einzelner Werke, teilweise mit Kommentaren des Künstlers versehen.
In dieser Publikation werden aktuelle Arbeiten medienorientiert aus einem anderen Blickwinkel gezeigt.
Zahlreiche, auch doppelseitige Bildausschnitte, digitale Neuinterpretationen auf Basis gemalter Werke, kurze Kommentare des Künstlers.
Teil der Katalogserie xion.dialog (Schuber mit 6 Künstlern)
Verschiedene Texte, u.a. Ulrich Horstmann: "Die Segnungen des Erkaltens", Ausstellungsverzeichnis.
Umfassende Publikation in Themenbereiche gegliedert. (Museale Simulation / Rodenstock / Uliseidank / Digital gelöst / Gezieltes Wachstum / u.a.) Gestaltung und Herausgabe durch den Künstler.
Arbeiten von außergewöhnlicher Sensiblilität in der Darstellung des Blicks auf eine imaginierte Welt, kommentiert durch Texte von Wolfgang Sinwel.
Arbeiten, die sich mit der Imagination eines Tieftauchganges beschäftigen.
Herausgabe anlässlich einer Ausstellung der Zürich-Kosmos-Galerie in Wien.
Ein vom Künstler gestalteter und herausgegebener Katalog zum Thema Flugbild, 1982 - 1988.
Texte von Traude Hansen (Wien), Christian Brandstätter (Wien), Susanne Lambrecht (Düsseldorf), Maxime Zerkout (Strasbourg) u. a.
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"Meine Malerei ist der Versuch, unseren Lebensraum aus einer zeitgemäßen Perspektive zu betrachten" So beschreibt es Wolfgang Sinwel in seinem Katalog "Blick von Oben" aus dem Jahr 2013.
Malerei als Ausgangspunkt für Assoziation und Dialog - beschreibt einen wichtigen Aspekt von Wolfgang Sinwels Verständnis seines künstlerischen Schaffens. Sinwel, gebürtiger Österreicher, der seine Karriere Ende der Siebziger Jahre nach seinem Abschluss an der Akademie der Bildenden Künste in Wien beginnt, nimmt seitdem im Rahmen zahlreicher internationaler Messen und Ausstellungen aktiv am Kunstdiskurs teil und findet durch die Aufnahme in namhafte Sammlungen, wie die der Albertina Wien oder des Landes Baden-Württemberg wiederkehrend große Anerkennung. Man spürt schnell, dass es ihm nicht nur um eine Malerei um der Malerei Willen geht. Er ist kein Artist's Artist. Er sucht den Austausch. Oder vielmehr bietet er ihn an. Kunst als Ausgangspunkt, als Gesprächsstoff. Worüber Wolfgang Sinwel reden möchte, was ihn um- und antreibt, verheimlicht er nicht. Es sind die großen Themen. Die zentralen Themen unserer Zeit: Umwelt, Fortschritt, Digitalisierung, Zerstörung, Natur und Mensch.
Nicht wenige scheitern am Versuch, Kunst im Namen einer intelligenten Kritik zu produzieren, landen sie damit doch allzu häufig in der Sackgasse der Selbstgerechtigkeit. Dramatischer jedoch ist die Tatsache, dass es eben jene Themen sind, die derzeit wohl am meisten und gleichzeitig am wenigsten diskutiert werden. Kaum etwas polarisiert so massiv, wie der Klimawandel, unser Einfluss auf den Planeten und was zu tun ist, um ihn zu erhalten, während es häufig an Konstruktivität und Umsetzung mangelt. Oder gar an einer Vision. Unaufhaltsam in der technologischen Selbsterweiterung, fällt es uns weiterhin schwer, unsere Weitsicht mitwachsen zu lassen, kritisiert der Künstler.
Und trotzdem sind es genau diese Themen, vor denen Wolfgang Sinwel nicht zurückschreckt. Nein, er malt, ganz unbeirrbar. Malt, auf der Suche nach einer zeitgemäßen Perspektive, wie er sagt. Doch wie gelingt es ihm, sich diesen Themen zu nähern, ohne sich die Finger zu verbrennen? Und wohin führt uns sein Versuch, unseren Lebensraum aus einer zeitgemäßen Perspektive zu betrachten?
Wenn man die Malereien von Wolfgang Sinwel betrachtet, sieht man nichts davon - von unserem Chaos. Wir sehen weit, bis zum Horizont, erahnen Strukturen und Zeichen unter uns. Man beginnt zu atmen, als wäre die Luft zwei Grad kühler und der Blick beginnt zu wandern, ohne aufgehalten zu werden.
Seine "Weltbilder", wie er sie vieldeutig nennt, heben uns auf und mit uns ab, als schaute man aus einem der kleinen Flugzeugfenster, hinunter auf die wundersamen Muster, zu denen sich die Landschaft aus vielen 100 Metern Entfernung zusammenfügt. Weite Landschaften, durchzogen von Adern, vielleicht Flüsse, oder Straßen, scheinen vorbeizuziehen, sind konkret und verlieren sich wieder in Schlieren und einer bloßen Andeutung. Die Natur ist stets präsent und trotzdem deutet immer etwas auf einen Eingriff hin. Auf den Versuch einer unnatürlicheren Ordnung, einer Nutzbarmachung vielleicht. Es bedarf keines Menschen im Bild um seine Anwesenheit zu vermuten. Man fühlt sich verleitet, die Ästhetik des Anthropozäns, dem Zeitalter des Menschen, in einem malerischen Werk manifestiert zu sehen. Das ist der Planet des Menschen. Das sind unsere Spuren.
Doch würde man einen wesentlichen Aspekt Sinwels künstlerischen Ausdrucks verkennen, reduzierte man seinen Inhalt auf die formal-ästhetische Interpretation des menschlichen Fußabdrucks. Ruft man sich sein Vorhaben in Erinnerung, eine "zeitgemäße Perspektive auf unseren Lebensraum" zu finden, offenbart sich doch, dass es weniger um das "Was?" geht, als um das "Wie?".
Aus der Vogelperspektive entdecken wir Strukturen, die vom Boden aus verborgen bleiben. So schreibt der Künstler selbst über den Blick von Oben: "Können wir auf diesen aufschlussreichen Einblick in unseren Lebensraum unüberlegt verzichten und die bildliche Wahrnehmung ausschließlich technischen Geräten überlassen? Müssen wir uns nicht vielmehr darum bemühen, unseren Horizont in intellektueller Hinsicht zeitgemäß zu erweitern. Der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat vieles ermöglicht, verursacht Umwälzungen in großem Stil - ein Großteil der Menschheit hingegen denkt nach wie vor in Bodennähe."
Stetig erweitern wir unseren Radius, doch was ist mit unserem Bewusstsein?, scheint Sinwel zu fragen. Die Distanzierung, das Abstand-gewinnen ist ein essenzielles Ausdrucksmittel in Sinwels Arbeiten. Es geht um das "Sich ins Verhältnis setzen". Um ein "Sich herausnehmen". Man schwebt. Betrachtet, lässt den Blick und die Gedanken schweifen, wie im Flug und fragt sich, ob sich die Landschaft unter uns entlang gleitet, oder ob wir es sind. Sinwels Bilder scheinen nie stillzustehen. Während grasig-grüne oder sandig-gelbe Flächen, Erhöhungen und Vertiefungen unter uns vorbeiziehen, ist es beinahe unmöglich, sich den rasanten Kurven oder dem sanften Treiben zu entziehen, könnte man doch fast meinen, man hätte eine Brise um die Nase gespürt.
So ist es vielleicht eben diese Dynamik, diese Flüchtigkeit, die einem die Fragilität der eigenen Position bewusst werden lässt. Wolfgang Sinwel entzieht uns gezielt den absoluten Blick auf die Dinge, relativiert unsere Seherfahrungen, hält uns in Schwingung. Um seinen Versuch einer zeitgemäßen Perspektive nachzuvollziehen hinterlässt uns der Künstler nicht nur Bilder, sondern nutzt auch die Textform, um über seine Haltung, seine Kunst und deren Beziehung zu reflektieren. So ist es einen Versuch wert, den Ausstellungstitel einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Recherchiert man zum Thema DRIFT, findet man zuallererst ausführliche Anleitung über die besten Drift Techniken mit dem Auto. Sie wissen schon, Überwindung der Seitenführungskräfte der Hinterreifen. Wenn Sie keinen Heckantrieb haben, müssen Sie die Handbremse benutzen und so weiter… Liest man sich das mal durch, oder schaut sich so ein Video an, ist man doch erstaunt, wie wenig dieser kräfteintensive Vorgang erstmal mit den Gemälden Wolfgang Sinwels zu tun haben scheint. Der Drift auf dem Wasser, oder in der Luft erscheint dagegen müheloser, leiser, subtiler. Aber auch unterschwellig bedrohlich. Jeder, der schon mal im Meer geschwommen ist, kennt dieses Gefühl zwischen Genuss und Unbehagen, wenn man von der Strömung erfasst wird, die einen mühelos wie ein Paket auf dem Fließband zum nächsten Strandabschnitt transportiert. Der Drift beschreibt in jedem Szenario eine Abweichung vom Kurs. Dabei changieren die Empfindungen zwischen beglückender Leichtigkeit oder fatalem Kontrollverlust. "Es kann jederzeit kippen." Doch der Drift impliziert eben auch, dass es einen Kurs gibt. Eine vermeintlich richtige Richtung, oder eine falsche. Doch von welchem Kurs weichen wir ab? Wovon gilt es möglicherweise abzuweichen?
Was ich in den Bildern Wolfgang Sinwels sehe, ist eben jene Vielschichtigkeit mit denen dieses Phänomen zu lesen ist. Und es ist eben jene Vielschichtigkeit und Sensibilität mit denen Wolfgang Sinwel seine Bilder malt und auf unsere Welt schaut. Es ist eine Perspektive, die ein "Sich ins Verhältnis setzen" und "Sich seiner bewusst werden" voraussetzt. Das mag vielleicht banal klingen, doch wenn man ehrlich ist, ist es jedes Mal aufs Neue ein Wagnis, das einem Mut und Ehrlichkeit abverlangt. In den Bildern Sinwels sehe ich keine bloße Warnung vor der Katastrophe, keinen stummen Vorwurf, kein Urteil. In ihnen stecken auch die Hoffnung und Courage, die es für eine neue Perspektive bedarf, und die sich gleichzeitig aus ihr schöpfen lassen. In ihrer Unschärfe schärfen sie den Blick auf größere Zusammenhänge. In ihrer Sensibilität lassen sie uns Widersprüche fühlen. Und in ihren unzähligen Lesarten lehren sie uns die Schönheit der Komplexität. In diesen Eigenschaften wird die zeitgemäße Perspektive für mich aus der Passivität gehoben und verwandelt sich in eine Haltung. Eine Aufforderung zur Haltung zu unserem Lebensraum und zu uns selbst.
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Il ne se lasse pas de les peindre. Et il faut bien avouer qu’on ne se lasse pas non plus de les regarder. Vues du ciel, des étendues de terre se perdent à l’infini, alors que s’effilochent quelques nuages cotonneux et que la ligne d’horizon disparaît dans une céleste lumière.
Avec Wolfgang Sinwel, on regarde les tableaux comme on jetterait un œil à travers un hublot. Découvrir un accrochage de ses peintures, c’est un peu prendre l’avion. On survole le monde, on tente de déchiffrer un paysage qui s’impose comme une métaphore de la démesure.
La maîtrise technique de l’artiste est telle qu’il pourrait légitimement figurer dans une anthologie de l’hyperréalisme. « J’aime bien cette ambiguïté qui fait qu’en entrant dans l’exposition, certains croient voir des photographies », dit-il, amusé également par ceux qui lui affirment reconnaître précisément les paysages qui se déploient sur les toiles – souvent de grands formats. « Tous ces paysages sortent de mon imagination. Quand je me lance dans une peinture, je ne sais jamais vraiment ce que cela donnera au final », précise-t-il encore.
Parce qu’à l’origine de ce travail, il y a une interrogation sur notre rapport au monde qui dépasse la simple question de la représentation d’un paysage donné. Ce qui motive Sinwel, c’est cette part de magie qu’incarne la vue aérienne qu’il restitue à chaque fois à la façon d’un paradigme du paysage. Et s’il associe parfois à ces tableaux la notion de nature morte, « d’une contemplation qui évoque aussi le temps », c’est bien d’abord leur extraordinaire poésie qui opère sur le visiteur.
Avec cette septième exposition que lui consacre la galerie Brûlée, l’artiste autrichien crée aussi la surprise présentant un travail de sculpture totalement inattendu.
À partir de bouteilles en plastique qu’il teinte et fait fondre au sèche-cheveux, Sinwel produits des objets aux formes indéterminées – entre le végétal et l’organique. On pense à une sorte d’Art Nouveau postindustriel et parfois vaguement kitsch. De vieux disques en vinyle et des pièces en plastique fusionnent également après avoir été passés au four, se transformant en céramiques aux structures molles, dans une texture qui rappelle le verre.
Sur la base d’un recyclage artistique – « Un Art Nouveau du pauvre », dit-il amusé –, et aux antipodes d’une peinture qui fait l’éloge émerveillé de l’apesanteur, Sinwel joue ici avec la matière, la détourne, trahit les apparences (verre ? Cristal ?) et expérimente un vocabulaire formel en toute liberté. Avec humour et légèreté.
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Wer das künstlerische Schaffen von Wolfgang Sinwel über vierzig Jahre hinweg verfolgt hat, dem dürfte nicht entgangen sein, daß sich der Mensch, genauer gesagt die menschliche Gestalt, in ihm extrem rar macht. Die öffentliche Bühne betritt dieser Maler 1978 entsprechend programmatisch mit Abbildungen von alten Grabsteinen und Ruhestätten, also in Stein gehauenen Nachrufen auf einzelne Individuen, aber auch auf die Individualität selbst. Denn neben redensartlichen Botschaften wie denen vom „grausamen Geschick“ und einem durch die verwitterten Buchstaben der Lüge überführten „unvergeßlich“ finden sich malerisch reproduzierte Platten, die nur noch ein namenloses „gestorben den 31. März 1865“ oder „in Gott ruhende“ Strichlisten zur Schau stellen. Diese Anonymisierung wird dann in den Flug- und Unterwasserbildern, die rasch zum Markenzeichen Sinwels avancieren sollten, zur Fehlanzeige radikalisiert. Will sagen, auf den vom Betrachter zu explorierenden Erd- und Planetenoberflächen gibt es zwar oft noch unübersehbare Spuren der Tätigkeit des Menschen (oder anderer intelligenter Wesen), am Grund von Seen und Flüssen liegen 'abgewrackte' Artefakte, aber der Urheber selbst tritt nicht mehr in Erscheinung. Er ist von der Bildfläche verschwunden – lange schon, wenn nur noch topographische Verfärbungen und Verwerfungen von ihm zeugen, oder eben erst wie im „Camp“ (1999), wo das Lager mitten im Katastrophengebiet noch sauber ausgerichtet existiert, aber Flüchtlinge wie Hilfskräfte abhanden gekommen sind.
Wir befinden uns offenbar in Gegen- oder Nachwelten, deren in Kommentaren immer wieder herausgestellte entrückende oder betörende Qualität entweder mit primärer Unberührtheit oder aber mit der sekundären Tröstlichkeit des Vorüber zu tun hat, die sie ausstrahlen. Der Mensch war mit anderen Worten entweder noch nicht da oder der Unruhestifter ist – endlich – wieder weg und alles vernarbt hinter ihm, kehrt aus dem Auf-den-Kopf-Gestelltwerden in die große Gelassenheit, die vor- und unmenschliche Ordnung des Elementaren zurück. Mit dem sind die Bilder und ist Wolfgang Sinwel im Bunde, denn der Betrachterstandpunkt ist immer eine menschenfeindliche Zone, d.h. die Stratosphäre bzw. der Weltraum oder das Submarine, beides Milieus, in denen es unsereinem ohne Schutzanzüge den Atem verschlägt. Mit dieser Distanzhaltung, zu deren Bezeichnung inzwischen der Zungenbrecher des Anthropofugalen in Umlauf ist, befindet sich Sinwel in der denkbar besten Gesellschaft, ist doch Randständigkeit und Außenseitertum das Signum der modernen Kunst und Menschenferne das Merkmal schon unserer frühesten malerischen Lebenszeichen. Die Rede ist von der Höhlenmalerei, in der der Cromagnon die ihn umgebende Tierwelt in ihrer ganzen Kraft und Herrlichkeit zeigt – aber sich selbst weitestgehend ausspart. Oder auch die Fauna gerade nicht fixiert, denn die abgebildeten, magisch gebannten Geschöpfe werden nur Augenblicke lang im Lampen- oder Fackelschein lebendig, bevor sie wieder in der ewigen Nacht versinken. Auch hier also ein wenn nicht lebensfeindliches, so doch lebensgefährliches Umfeld – Höhle und Hölle sind sprachlich eng verwandt –, das heute noch dem ein oder anderen ungleich besser gerüsteten Speläologen zum Verhängnis wird. Arthur Koestler hat den Menschen einmal einen „Irrläufer der Evoluti-on“ genannt und vielleicht sind wir, wenn wir in unterirdischen Labyrinthen den Weg verloren haben und uns die Bilder anspringen, unserem (Un-)Wesen am nächsten. Wolfgang Sinwel ist kein Schamane, aber dunklen Erhellungen nicht abgeneigt. Auf der Rückseite seines ersten Katalogs findet sich ein sibyllinisches Zitat ungeklärter Herkunft: „Wo sich in Sinwels Bildern Menschliches zeigt, führt es in die Irre.“ Dem tappen wir im Folgenden in blindem Vertrauen hinterher.
Wir brauchen einen Wegweiser, weil die Menschen seit einiger Zeit auf Sinwels Bildern zurückkehren, nicht in Scharen, aber doch unübersehbar. Ist das ein Bruch mit der bisherigen Weltsicht oder im Gegenteil ein Ausbau und eine Vertiefung? Geht der Maler mit sich selbst ins Gericht oder zu Rate? Setzen wir uns in Gang. Die Wiederkunft von unseresgleichen ist nicht unspektakulär; auf einem Bild, das es gleich zweimal gibt, fallen wir aus allen Wolken. „Sky Diver“ heißen beide Versionen, und es ist bemerkenswert, daß die Fallschirmspringer in der ersten Fassung von 2011 zahlreicher – sieben zu vier – und größer sind als bei der Wiederaufnahme des Sujets drei Jahre später. Außerdem ist das Querformat (70 x 160) zu einem Quadrat (100 x 100) geworden, das aber hochformatig anmutet. Insgesamt wirkt die Komposition ausgewogener, wodurch sich die Notwendigkeit des zweiten Anlaufs erklärt. Die 'Himmels-Taucher', elektronisch generierte Schemen und 'Fremdkörper' wie im ersten Bild, dominieren jetzt das Gesichtsfeld nicht mehr, sondern das Gegengewicht der in Grüntönen gehaltenen Landschaft – vorher war sie in der Tiefe bräunlich verödet – platziert sie im Augenwinkel dessen, der die Tiefebene abtastet. Alles in allem hat man den Eindruck einer Feinjustierung. Das vorher nahezu tabuisierte Menschenmotiv schnellt erst zu stark nach vorn und wird dann zurechtgerückt und mit den anderen Kompositionselementen austariert. Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen, daß es sich um eine Momentaufnahme handelt. In Wirklichkeit ist die Situation der Abgebildeten eine extrem prekäre. Sie stürzen ab und befinden sich im freien Fall.
Im Englischen ist „fall“ vieldeutig; das Wort kann Sturz bedeuten, aber auch Herbst und Wasserfall sowie den Sündenfall des Menschen. In seinem Neandertalerroman The Inheritors (1955) überblendet William Golding, der auch Free Fall (1959) als Buchtitel benutzt hat, die beiden letzten Lesarten auf ingeniöse Weise; bei Wolfgang Sinwels aber geht es wohl eher um die moralischen Konnotationen der umgekehrten Himmelfahrt. Daß wir selbst dabei nicht im freien Fall assoziieren, zeigt eine Arbeit, die 2013, also genau zwischen den beiden „Sky Diver“-Fassungen entstanden ist und „Abgesetzt“ heißt. Was da über einem verwüsteten Stück Erde – man denkt an rücksichtslosen Tagebau und die brachiale Ausbeutung von Bodenschätzen – aus einer Transportmaschine purzelt und unter sich entfaltenden Fallschirmen pendelt, ist kaum mit Sicherheit auszumachen. Soldaten? Ausrüstungsgegenstände? Beides? Jedenfalls geht es hier im Gegensatz zum „Camp“ nicht um einen Rettungseinsatz, sondern die Auswei-tung der Kriegs- und Zerstörungszone. Damit kippt auch unsere Sichtweise und aus dem Bildvordergrund, der an die sich stapelnden Eisschollen auf Caspar David Friedrichs „Gescheiterter 'Hoffnung'“ von 1823/24 erinnert, wird ihr Gegenteil: verbrannte Erde.
Bleiben wir noch ein paar Zeilen lang im arktischen Milieu des Romantikers. Sinwel hat es nämlich in einer bemerkenswerten Bilderserie – „Eiszeit“ (2008), „Eiszeit 03“ (2009), „Eiszeit 02“ (2013), „Schlittengespann“ (2013), „Kühl“ (2014) – auch so direkt und intensiv aufgerufen, daß man eine Atemwolke vor dem Gesicht des Betrachters erwarten könnte. In der ersten „Eiszeit“ und dem „Schlittengespann“ tauchen wieder Menschen auf, zunächst als harmlos werkelnde Expeditionsteilnehmer, im zweiten Beispiel als Selbstversorger, die die Arglosigkeit einer nicht mit Zweibeinern vertrauten Robbe ausgenutzt haben, um sie zu schlachten. Wieder ist der Schleier gefallen. Das wässrige Rot des Tierbluts ist der einzige Farbfleck auf dem durch Weiß und Eisblau dominierten Bild, aus dem sich die beiden offensichtlich europäischen Robbenschläger mit ihrem Schlitten nach links herausbewegen, herausstehlen. Ein Sündenfallszenario, das sich übrigens in dem Wasserbild „Fishing“ (2010) vorwegnimmt und spiegelt. Hier stakt ein 'Sportsmann', der auf den ersten Blick so aussieht, als ob er kein Wässerchen trüben könnte, sein Boot an einer noch frischen Blutspur vorbei, die ebenfalls von einer 'verflossenen' Untat zeugt.
Der von Sinwel jahrelang im Draußenvor mit sich selbst alleingelassene Mensch kehrt also nicht als reuiger Sünder auf die Leinwand zurück, sondern als unbelehrbarer Wiederholungstäter. In Helm und Atemschutz posiert er in „Dicht dran“ (2011) als Hersteller toxischer Welten, wobei der Maler den Titel beim Wort und in einer weiteren Serie – „Men at Work 1-4“ (2012) – unsere arbeitsamen Mitmenschen unter die Lupe nimmt. Wieder geht es nicht mit dem Holzhammer der Denunziation, sondern subtil zur Sache, wie sehr schön an dem bisheri-gen Höhepunkt der Werktätigen-Kunst Sinwels, dem Bild „Was zum Teufel machen die da?“ von 2015 und seiner Entstehungsgeschichte zu veranschaulichen ist. Sein fortschreitendes Ausbleichen in den fotographisch dokumentierten Entwicklungsschritten fällt ins Auge, wobei die letzte Fassung nur noch schwarz-weiß wirkt. Die beiden Akteure sind von Anbeginn monochrom-farblos, Grauzonenwesen, die offenbar unaufhaltsam abfärben bei und mit dem, was sie tun. Die Silhouette des linken zeigt die Rundung im Hals- und Schulterbereich, die wir mit unseren frühmenschlichen Ahnen verbinden, der rechte macht sich an einer Stange zu schaffen, die von der Angel über das aufgerollte Segel bis zum Harpunenschaft wiederum Gerätschaften aus der Wildbeuterphase unserer Gattungsgeschichte aufruft. Wir entkommen unseren Ursprüngen nicht, scheint das sagen zu wollen, wir sind immer noch die alten. Und die wieder menschenleere Erde, für die sich inzwischen zahlreiche ernstzunehmende Wissenschaftler interessieren, ist keineswegs das grelle, apokalyptische Wahngebilde, für das sie von selbsternannten Machern und Schadensbegrenzern immer ausgegeben wird. Publikationen wie Alan Weismans The World without Us (2007) oder Jan Zalasiewiczs The Earth after Us. What Legacy will Humans Leave in the Rocks? (2008) entdecken sie vielmehr als faszinierenden Forschungs- und Möglichkeitsraum. Nicht die technologische Umgestaltung der Welt, bei der kein Stein auf dem anderen bleibt, ist unser wahres Ruhmesblatt, sondern der imaginative Aus- und Aufbruch in eine Wirklichkeit, die ohne uns und unsere Erfindungsgabe – eigentlich bestens – zurechtkommt. Paradoxerweise ist für dieses Entkommen deren Doppelgängerin, die künstlerische Einbildungskraft, unverzichtbar.
Mit uns selbst über uns selbst hinaus – ein Münchhausenmanöver? Von wegen, ein Kunstgriff, bei dem man, wie Wolfgang Sinwel mit jedem Bild von neuem beweist, die Menschenscheuklappen loswird.
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Wolfgang Sinwels Diptychon RÜCKSTAND (2013) ist das Menetekel an meiner Wand. Ein dramatischer Ausblick auf den Zustand der Erde vor dem Hintergrund von Klimawandel und skrupelloser Ausbeutung durch die Spezies Mensch. Das glatte Gegenteil zu Sinwels großformatigen „Landschaftsbildern“, die – weil „nur“ Pinselspuren auf seiner Leinwand – erst im Auge des Betrachters sich in paradiesische Landschaften verwandeln für den inneren Multiplex.
Mit dem zweiteiligen Werk RÜCKSTAND verlässt Sinwel seine von Distanz zum Objekt geprägte Umlaufbahn, um auf dem Boden topographischer Tatsachen zu landen. RÜCKSTAND ist folglich ein Fort-Schritt, der Paradigmenwechsel in Sinwels Oeuvre. Sein Nachdenken über die Welt – und was der Mensch aus und mit ihr macht – bekommt damit ein neues kompositorisches Spannungselement. Emotionsloser, technischer und deutlich konkreter, verändert es die Ästhetik des Zerfalls. Das Diptychon ist also mehr als nur eine fantastische Farbsinfonie in mattem, verschleiert wirkendem Orange, Dunkelgrau und Braun: es verschärft Wolfgang Sinwels ökologische Position.
Ist die Grenze zwischen Malerei und (Umwelt-) Politik aber einmal gefallen, wird der Maler zum Mahner – zum Provokateur. Und dessen (Bild-)Sprache ist eindeutig. Das Teufelswerk ist vollbracht, die Welt sichtlich ruiniert, der Mensch wohl ausradiert, seine (postmoderne) Architektur in Auflösung. Was ihr skrupellos aufgeladen wurde, wirft die geschundene Botanik jetzt ab. Game over. Monopoli fini, verloren ist die Schloßallee!
„In the year 2525, when man is still alive...“: Der durch Zager & Evans 1969 zum Welthit gewordene Folk-Song über die Beziehung des Menschen zu Technologie und Erde passt gut ins Bild. Und auch die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood beschreibt in ihrem Science Fiction Roman „Oryx und Crake“ (2003) allzu drastisch, was einer ökologisch ignoranten Menschheit am Ende vielleicht blüht. Ob ihr Jimmy-„Schneemensch“ – neben der transgenen Menschenrasse der „Craker“ einziger Überlebender einer Pandemie – den (Überlebens-)Kampf in der post-katastrophischen Gegenwart gewinnt, bleibt völlig offen.
Wolfgang Sinwel scheint da doch hoffnungsvoller.
Wie mit dem Mischpult-Regler zieht er die Dynamik hoch, von links nach rechts verstärken sich Farbe und Schärfe der Konturen. Hinter drei Fenster eines bunkerähnlichen Hauses setzt er Licht. Warum? Für wen? Wohnt hier vielleicht noch wer? Und dann blühen da noch drei (Mandel-)Bäume, die aussehen wie kleine Ballerinen in rosa-orangefarbenen Tutus. Platziert am äußerst rechten Bildrand, quasi eine Sekunde vor Zwölf, sind sie das zarteste und zugleich effektivste Bollwerk, das ich mir gegen eine aufziehende Götter-Dämmerung vorstellen kann. Mein Drei-Baum-Prinzip Hoffnung! Wen das nicht ermutigt, der will auch Kunstrasen mähen!
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Luftikus
Windenstart
in die Wunscherfüllung.
Einmal, ließ ich verlauten,
auf geht’s in zwei Bocksprüngen
mit den Mauerseglern am Himmel
die Wiese weg
ein Geburtstagsgutschein
macht's möglich
weg die neben dem Startbus
unter einer Plane
versammelten Flugsportsfreunde
jeder der am Ende seiner Tage
duldungsstarr wie sie
aufs Himmelfahrtskommando hofft
sollte verkabelt vorher
das hier ausprobieren
das wüste Katapult
mein Gott die Trommelzwille Goliaths
wild rasend spult sie auf
schießt mich zum Mond
eine Parabel ist das
was mein Magen beschreibt
während das Flugzeug
runks
ausgeklinkt durchsackt
Kippen nach links
Flugfeld in Aufsicht
Kippen nach rechts
Steinbruch kraterrunde
Dartszielscheibe
Geröll auf der Rutsche bin ich
die wippt wie verrückt
bei der Aufwindsuche
außer zwanzig Metern Spannweite
kein Segler in Sicht
sie mauern
dafür gurgelt und fiept es
wie in der Kehle in der Mausefalle
zum Zeichen daß wir sinken oder steigen
(in meiner Kehle aber gurgelt es
besonders wenn es fiept)
Himmelherr laß meinen Vordermann
keine Thermik finden
in der wir uns höher und höher
schrauben mein Verdauungstrakt
ein ausgewrungenes Handtuch
das ich werfe
den unaufhaltsamen Abstieg
den Sinkflug zu ehren.
Eine allerletzte Spitzkehre.
Lande- Lande- Landebahn.
Dankbarkeit wallt auf.
Riesenhopser im Hasenherz
und über die Wiese,
die vor uns ausrollt ganz
wie eine notgebremste
horizontale Rolltreppe.
Am Ende legt da
der Zehn-Zentner-Vogel
der Erde ganz behutsam
eine Flügelspitze auf -
in Stellvertretung
meiner feuchten Hand.
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